Gilbert Ziebura

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Gilbert Ziebura (* 18. März 1924 in Hannover; † 21. Februar 2013 in Braunschweig)[1] war ein deutscher Politikwissenschaftler. Er lieferte wichtige Beiträge zur historischen Debatte, u. a. zum politischen und wirtschaftlichen System der Zwischenkriegszeit. Er gründete auch „die sozialwissenschaftliche Frankreich-Forschung in der Bundesrepublik mit und prägte sie über Jahrzehnte entscheidend.“[2]

Er lebte mit seiner Familie ab 1930 in Berlin und besuchte dort bis 1943 die Oberrealschule (Schadow-Schule). Er war Mitglied im Jungvolk und der Hitlerjugend, war 1943 Soldat und wurde an der Ostfront eingesetzt. Nach einer schweren Verwundung und Amputation eines Oberarms im November des Jahres wurde er 1944 aus der Wehrmacht entlassen.

Er absolvierte 1944/45 einen Abiturlehrgang in Cottbus. Danach arbeitete er kurzzeitig als Grundschullehrer; von 1946 bis 1948 studierte er an der Humboldt-Universität zu Berlin Geschichte, Romanistik und Allgemeine Staatslehre. Im Jahr 1948 wechselte er an die Freie Universität Berlin. Danach studierte er von 1950 bis 1952 in Paris an der Sorbonne. 1953 promovierte er mit einer Schrift über Die deutsche Frage in der öffentlichen Meinung Frankreichs 1911–1914. Anschließend war er ab 1954 Lehrbeauftragter an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin und dort ab 1955 wissenschaftlicher Assistent. Ziebura habilitierte sich 1962 mit der Schrift Léon Blum. Theorie und Praxis einer sozialistischen Politik. Ab 1964 war Ziebura ordentlicher Professor für politische Wissenschaft mit dem Schwerpunkt auf Außenpolitik an der Freien Universität Berlin.

Er war 1968 am Streit um die Demokratisierung der Universitäten beteiligt und arbeitete parallel im Planungsstab des Bundeskanzleramtes.

Im Jahr 1974 nahm er einen Ruf an die Universität Konstanz an. 1978 wechselte an die Technische Universität Braunschweig. 1992 wurde er emeritiert. Danach war er 1993/94 noch Gastprofessor an der Universität Hannover.

Er konzentrierte sich in Lehre und Forschung auf die internationale Politik. Dazu gehörten die Internationalen Wirtschaftsbeziehungen und die Europapolitik, Frankreich und die deutsch-französischen Beziehungen, Fragen des Gesellschaftssystems und der Außenpolitik sowie theoretische Fragen.

Er behandelte auch historische Themen. Als bedeutend gilt zum Beispiel sein Buch Weltwirtschaft und Weltpolitik 1922/24–1931. Zwischen Rekonstruktion und Zusammenbruch. Darin beschrieb er das Scheitern der Schaffung einer stabilen wirtschaftlichen und politischen Weltordnung als Vorgeschichte der Weltwirtschaftskrise. Er erteilte der These von der relativen Stabilisierung eine Absage und kritisierte nicht nur die damalige europäische, sondern auch die amerikanische Politik.[3]

Neben Monographien veröffentlichte er zahlreiche Aufsätze und war als Herausgeber tätig. Er äußerte sich auch in der öffentlichen Debatte und entwickelte ab den 1970er Jahren und insbesondere nach dem Ende des Kalten Krieges in Kritik zu Neoliberalismus und Globalisierung ein kritisches linksliberales Politikverständnis. Im Jahr 2009 veröffentlichte er eine Autobiographie Kritik der Realpolitik. Genese einer linksliberalen Vision der Weltgesellschaft.

Schriften (Auswahl)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Monographien

  • Die deutsche Frage in der öffentlichen Meinung Frankreichs von 1911 bis 1914. Berlin 1955.
  • Das französische Regierungssystem. Leitfaden von Francois Goguel. Übersetzung und Vorwort. Quellenbuch. Köln/Opladen 1956/57.
  • Die V. Republik. Frankreichs neues Regierungssystem. Köln/Opladen 1960.
  • Léon Blum. Theorie und Praxis einer sozialistischen Politik. Bd. 1: 1872–1934. Berlin 1963.
  • Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945. Mythen und Realitäten. Pfullingen 1970.
  • (Hrsg.) Wirtschaft und Gesellschaft in Frankreich seit 1789. Unter Mitwirkung von Heinz-Gerhard Haupt. Köln 1975.
  • mit Christian Deubner, Udo Rehfeldt, Frieder Schlupp: Die Internationalisierung des Kapitals. Neue Theorien in der internationalen Diskussion. Frankfurt am Main 1979.
  • Frankreich 1789–1870. Entstehung einer bürgerlichen Gesellschaftsformation. Frankfurt am Main 1979.
  • Weltwirtschaft und Weltpolitik 1922/24–1931. Zwischen Rekonstruktion und Zusammenbruch. Frankfurt am Main 1984.
  • Zwischen Entspannung und weltwirtschaftlicher Rezession. Die internationalen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland 1962–1974/75. Bearb. von Friedrich Diestelmeier. In: Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen (Hrsg.): Deutsche Geschichte nach 1945, Teil 1, Studienbrief 7, Tübingen 1988.
  • mit Michael Bonder, Bernd Röttger: Deutschland in einer neuen Weltära. Unbewältigte Herausforderungen. Opladen 1992, ISBN 978-3-81000978-4.
  • Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945. Mythen und Realitäten. Neske, Stuttgart 1997, ISBN 3-7885-0511-7.
  • Frankreich. Geschichte, Gesellschaft, Politik. Ausgewählte Aufsätze. Hrsg. von Adolf Kimmel, Opladen 2003.
  • Kritik der „Realpolitik“. Genese einer linksliberalen Vision der Weltgesellschaft. Lit.-Verlag, Münster 2009, ISBN 978-3-643-10063-4 (Autobiografie).
  • Les relations franco-allemandes dans une Europe divisée. Mythes et réalités. Presses Universitaires de Bordeaux, Pessac 2012, ISBN 978-2-86781-823-3.

Festschrift

  • Hartmut Elsenhans u. a. (Hrsg.): Frankreich – Europa – Weltpolitik. Festschrift für Gilbert Ziebura zum 65. Geburtstag. Westdeutscher Verlag, Opladen 1989, ISBN 3-531-12123-5.
  • Ulrich Menzel: Linksliberal war seine Vision. Der große Politikwissenschaftler ist tot. Ein Nachruf auf Gilbert Ziebura. In: Braunschweiger Zeitung, 27. Februar 2013, S. 30.
  • Bernd Röttger: In Memoriam Gilbert Ziebura (1924–2013). Zur Aktualität einer Analyse struktureller Bestimmungsfaktoren politischer Handlungskorridore. In: PROKLA, Heft 171, 43. Jg., Nr. 2/2013, S. 183–191 (PDF).
  • Joachim Umlauf, Nicole Colin, Ulrich Pfeil, Corine Defrance (Hrsg.): Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945. Gunter Narr, Tübingen 2013, überarb., erw. Aufl. 2015, S. 488 ff.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Ziebura, Gilbert. In: Personenlexikon Internationale Beziehungen virtuell (PIBv), herausgegeben von Ulrich Menzel, Institut für Sozialwissenschaften, TU Braunschweig.
  2. Hans Manfred Bock, Adolf Kimmel und Henrik Uterwedde (als Herausgeber der 'Frankreich Studien') im Vorwort zu Gilbert Ziebura: Frankreich. Geschichte, Gesellschaft, Politik. Ausgewählte Aufsätze, Opladen 2003, S. 7 (online).
  3. Horst Möller: Zwischen den Weltkriegen. München 1998, S. 182.