ADB:Baudissin, Wolf Graf von
Friedrich Kohlrausch, der ihn auch auf die Universität begleitete und ihm zur Seite blieb, während er 1805–1809 in Kiel, Göttingen, Heidelberg und wieder in Göttingen rechtswissenschaftliche Studien betrieb, um sich für die diplomatische Laufbahn vorzubereiten.
Baudissin: Wolf Heinrich Friedrich Karl Graf B., geboren am 30. Januar 1789 in Kopenhagen, † am 4. April 1878 in Dresden, hat sich als Uebersetzer hervorragender, besonders Shakespeare’scher Dichtungen ausgezeichnet. Er war der älteste Sohn eines Grafen Karl Ludwig B., der 1787, weil er das Unglück gehabt hatte, in einem Duell seinen Gegner zu tödten, als Major den kursächsischen Militärdienst verlassen hatte, dann in dänische Dienste trat, 1801 bis 1806 dänischer Gesandter am preußischen Hofe war und als Generallieutenant und Gouverneur von Kopenhagen 1814 starb. Wolf B. verlebte seine Knaben- und Jünglingsjahre im wesentlichen auf deutschem Boden, da Rantzau, das holsteinische Stammgut der Familie, der Ort war, wo er den Sommer zu verbringen pflegte, und 1802 Berlin statt Kopenhagen der Ort seines regelmäßigen Winteraufenthalts geworden war. So war auch die Erziehung, welche er genoß, im Sinne jener Zeit verstanden, eine durchaus deutsche. Seit dem Frühjahre 1802 leitete seine Ausbildung der nachmalige königlich hannoversche GeneralschuldirectorSchon 1810 trat er in dieselbe ein, nachdem er zum dänischen Legationssecretär in Stockholm ernannt worden war, wo Graf Dernath, ein Bruder seiner Mutter, bis 1811 die Stelle des dänischen Gesandten versah. Der Gang der Ereignisse brachte es mit sich, daß er dort, wie seinem eigenen Berichte in seinem Aufsatze „Stockholmer Erinnerungen“ zu entnehmen ist, nach seines Oheims Rücktritt mit politischen Angelegenheiten von weittragendster Bedeutung zu thun bekam. Es handelte sich damals um die Frage, ob Dänemark seine politischen Ziele im Bunde mit Napoleon oder im Anschluß an dessen Gegner verfolgen solle. B. vertrat die letztere Ansicht, aber die entgegengesetzte erlangte den Sieg bei dem Könige. Als ihm nun, nachdem er im März 1813 aus Stockholm abberufen worden war, im Mai der Auftrag zu Theil wurde, mit dem Minister Kaas in außerordentlicher Gesandtschaft nach Dresden zu reisen, um hier ein dänisches Bündniß mit Frankreich formell abzuschließen, verweigerte er den Gehorsam. Um seiner Auflehnung größeren Nachdruck zu geben, hatte er den Vorsatz gefaßt, sich durch einen willfährig befundenen Arzt gewaltsam einen Armbruch beibringen zu lassen; nur durch den eindringlichen Zuspruch eines ehrwürdigen Verwandten konnte er bewogen werden, diesen Entschluß aufzugeben und dafür den Weg zu beschreiten, daß er seinem Könige seine Gehorsamsverweigerung ausdrücklich in directer schriftlicher Meldung kund that und um seine Bestrafung bat. Die Folge war, daß er als Staatsgefangener in der Festung Friedrichsort eingeschlossen wurde, bis ihm der Ausgang der Schlacht bei Leipzig seine Freiheit wiedergab.
Vermuthlich mag sich inzwischen in ihm das Gefühl befestigt haben, dem er schon in einem Briefe vom 4. März 1810 Ausdruck gab: daß er „nicht lange [234] mehr dem Staate dienen wolle“ und „beständig ein schlechter Staatsdiener bleiben werde“. Er ließ sich zwar noch als Legationssecretär in das Hauptquartier der Verbündeten nach Frankreich, später nach Wien entsenden. Aber bald darauf trat auch noch der Tod seines Vaters, dessen Nachfolger im Besitz der Herrschaft Rantzau er wurde, als Veranlassung hinzu, die Beamtenlaufbahn aufzugeben. Die politischen Gegensätze zwischen ihm und dem Kopenhagener Hofe hörten damit nicht ganz auf, aber weder ihre Verschärfung noch ihre Milderung wirkte fortan in eingreifender Weise auf die Gestaltung seiner Lebensverhältnisse ein, ihre Verschärfung nicht, als er im Jahre 1821 von einem ungenannten Freunde vor der Rückkehr in sein Vaterland heimlich gewarnt werden mußte, ihre Milderung nicht, als ihn König Christian VIII. bald nach seiner Thronbesteigung zum Kammerherrn ernannte und ihn zu bewegen versuchte, in Kopenhagen das Amt eines Directors der Museen zu übernehmen. B. erlangte dadurch, daß ihn die Umstände in das Privatleben zurückgedrängt hatten, die Freiheit, sich ganz den Neigungen hinzugeben, die seinem inneren Berufe entsprachen. Ausgedehnte Reisen eröffneten neue Quellen, aus denen sich der reiche Schatz seiner Bildung vermehrte; Annäherung an hervorragende Persönlichkeiten, namentlich der Umgang mit Ludwig Tieck, bewirkte oder trug wenigstens dazu bei, daß die in ihm bald zur vorherrschenden gewordene Neigung, sich mit Arbeiten auf dem Gebiete der Uebersetzungskunst zu beschäftigen, Leistungen zeitigte, welche durch Talent, Gelehrsamkeit und Fleiß alles Dilettantische weit hinter sich ließen. Schon 1803, also bevor er noch dem Knabenalter entwachsen war, übersetzte er Shakespeare’s König Heinrich V. Die Handschrift dieser Uebersetzung hat sich erhalten. Im Winter von 1804 auf 1805 versuchte er sich an König Lear, und sein Lehrer Kohlrausch fand die Arbeit würdig, sie Wilhelm Schlegel zu zeigen, der das frühzeitig hervortretende, entschiedene Talent des jungen Grafen, seines Zuhörers in den Vorlesungen über die schöne Litteratur, willig anerkannte. Als Göttinger Student beschäftigte er sich, wie man aus einem seiner Jugendbriefe ersieht, mit Richard III. und im J. 1818 übergab er dann als sein Erstlingswerk eine Uebersetzung Heinrich’s VIII. dem Druck.
Im Herbst 1814 hatte er sich mit seiner Cousine Julie Friederike Gräfin Baudissin aus dem Hause Knoop verheirathet. Ihre leidende Gesundheit verhinderte zunächst eine dauernde Niederlassung an einem bestimmten Wohnorte, nöthigte zu Badereisen und wirkte als eine Ursache mit, weshalb sich B. 1821 bis 1823 in Rom und anderen italienischen Städten aufhielt. Erst 1827 schlug er seinen Wohnsitz in Dresden auf, um hier dauernd zu bleiben, auch nachdem Ludwig Tieck, diejenige Persönlichkeit, die ihn vorzugsweise dorthin gezogen hatte und in der er seinen litterarischen „Oberlehnsherrn“ verehrte, die Stadt verlassen hatte. Gräfin Julie B. starb am 19. März 1836. Eine zweite Ehe, welche B. im Herbst 1840 einging, nachdem er 1838 eine Reise nach Griechenland und der Türkei ausgeführt hatte, knüpfte das Band, das ihn mit Dresden, der Vaterstadt seiner zweiten Gattin, Sophie Kaskel (geb. am 27. Juli 1817, † am 9. December 1894) verband, noch enger.
Man kann es mit Baudissin’s eigenen Worten belegen, wie ganz er in seiner Uebersetzerthätigkeit Tieck als seinen Meister verehrte: er „war sein Vorbild, zeigte ihm das Ziel und bahnte ihm den Weg; ja schon allein der Genuß, seine Nachbildungen, wie sie beendigt wurden, von ihm vorlesen zu hören, wäre ihm hinreichende Aufforderung gewesen“. B. trieb seine Unterordnung unter Tieck’s Meisterschaft so weit, daß er der Oeffentlichkeit gegenüber seine Eigenthumsrechte an den in den Jahren 1830 bis 1833 erschienenen Theilen der sogenannten Schlegel-Tieck’schen Shakespeare-Uebersetzung und an dem unter dem irreführenden Titel: „Vier Schauspiele von Shakespeare, übersetzt von Ludwig [235] Tieck“ 1836 erschienenen Werke zu Gunsten Tieck’s fast völlig preisgab. Tieck seinerseits hatte kein Bedenken gefunden, im Titel der neuen Shakespeare-Gesammtausgabe dem Namen Schlegel’s zwar seinen eigenen hinzuzufügen, nicht aber zugleich die Namen Baudissin’s und seiner (Tieck’s) Tochter Dorothea, sowie in der einen Anhang dazu bildenden Sonderausgabe der vier angeblich Shakespeare’schen Schauspiele: Eduard III., Thomas Cromwell, Oldcastle und Der Londoner Verschwender im Gegensatz zum wirklichen Sachverhalt sich selbst statt B. als Uebersetzer zu nennen. Nur in einem Nachwort an versteckter Stelle hatte er in jener Gesammtausgabe über die Mitarbeiterschaft Baudissin’s und Dorotheens Nachricht gegeben. Diese beide aber waren thatsächlich viel mehr als bloße Mitarbeiter gewesen, da neben ihnen Tieck selbst für die neue Ausgabe kein einziges Stück übersetzte, während B. insbesondere darin durch dreizehn Dramen vertreten ist: durch den schon früher von ihm herausgegebenen Heinrich VIII. und durch zwölf neu übersetzte Stücke. Der Zeit seiner Entstehung, wie seinem Inhalte nach steht mit Baudissin’s Shakespeare-Studien in engstem Zusammenhange sein 1836 unter dem Titel: „Ben Jonson und seine Schule, dargestellt in einer Auswahl von Lustspielen und Tragödien“ erschienenes Uebersetzungswerk. Dann wählte B. seine Aufgaben außerhalb des Gebietes der englischen Litteratur und gab nach einander folgende Uebersetzungen heraus: Hartmann’s von der Aue Iwein 1845; Wirnt’s von Gravenberg Guy von Waleis 1848 (Emanuel Geibel gewidmet); Quintana’s Lebensbeschreibungen berühmter Spanier 1857; Molière’s Lustspiele, 4 Bde., 1865–1867; zwei dramatische Dichtungen von Franz Coppée 1874; dramatische Sprichwörter von Carmontel und Theodore Leclercq 1875 (Gustav Freytag gewidmet); Italienisches Theater 1877 (enthaltend Stücke von Gozzi, Goldoni, Gherardi del Testa und Giovanni Grafen Giraud). Die lange Reihe dieser Titel und besonders der darin vorkommende Name Molière’s beweist, wie unermüdlich er bis in sein hohes Alter fortarbeitete und seinen Fleiß über immer neue große Gebiete ausdehnte. Sein Molière, eine Uebersetzung in fünffüßigen Jamben, die mit Recht als eine wahre „Verdeutschung“ des großen französischen Dichters bezeichnet werden darf, ist ein würdiges Gegenstück zu seinen in den weitesten Kreisen, jedoch nicht unter seinem eigenen Namen bekannt gewordenen Shakespeare-Uebersetzungen. Zu den fördernden Umständen, welche die Vollendung einer so reichen Lebensarbeit begünstigten, gehörten die ausnehmend glücklichen häuslichen Verhältnisse, die er an der Seite seiner feinsinnigen, besonders durch musikalische Begabung ausgezeichneten, daneben aber auch mit schriftstellerischem Talent ausgestatteten zweiten Gattin fand. Die ausgezeichnetsten Künstler und Gelehrten Dresdens bildeten den erlesenen Kreis seiner Hausfreunde. Als der Prinz, nachmalige König, Johann mit der Abfassung seiner Dante-Uebersetzung beschäftigt war, war B. einer der Männer, die er als ständige Helfer und Berather zuzog.
- Lübker und Schröder, Lexikon der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Schriftsteller von 1796 bis 1828, Altona 1829, S. 35. – Alberti, Lexikon der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Schriftsteller von 1829 bis 1866, Abthlg. 1, Kiel 1867, S. 31; von 1866 bis 1882, Bd. 1, Kiel 1885, S. 31 f. – Fr. Kohlrausch, Erinnerungen aus meinem Leben, Hannover 1863, S. 52 ff. und 180 ff. – Paul Lindau, Wolf Baudissin: Die Gegenwart, Bd. 13, 1878, S. 248–250. – Wolf Graf Baudissin: Jahrbuch der deutschen Shakespeare-Gesellschaft, 14. Jahrg. 1879, S. 325–327. – Wolf Graf Baudissin. Gedenkbuch für seine Freunde. Als Manuscript gedruckt. 1880. Leipzig, Druck von Breitkopf u. Härtel. – Gustav Freytag, Wolf Graf Baudissin (1880): Gesammelte Werke, Bd. 16, 1887, S. 111 [236] bis 154; – derselbe, Baudissin’s Shakespeare-Uebersetzung und die Shakespeare-Gesellschaft (Im neuen Reich 1880, Nr. 24): ebenda S. 364–370. – Robert Waldmüller [Duboc], Wolf Baudissin: Grenzboten I, 1889, S. 320–331. – Shakespeare’s dramatische Werke übersetzt von A. W. v. Schlegel und L. Tieck, durchgesehen von Michael Bernays, Zweiter Abdruck, Bd. 12, Berlin 1891. Nachwort zum neuen Abdruck S. 415–491 (hier sind die in der kgl. öff. Bibliothek zu Dresden aufbewahrten Originalhandschriften der Baudissin’schen Shakespeare-Uebersetzungen benutzt). – Schriften von Aurelie (Sophie Gräfin Wolf Baudissin geb. Kaskel): Nachrichten aus dem Buchhandel Nr. 71, 24. Dec. 1894, S. 601 f. (Das Verzeichniß umfaßt zahlreiche Jugendschriften.)