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Eklat bei Humboldt-Rede Kaczynskis umtoster Auftritt

Eigentlich wollte der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski in der Berliner Humboldt-Universität zum Thema Europa sprechen. Doch sein Auftritt wurde zum Eklat - homosexuelle Protestierer gelangten in den Saal und brachten die Veranstaltung fast zum Platzen.
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Berlin - Die Leibwächter von Lech Kaczynski müssen es geahnt haben. Schon vor dem Erscheinen des polnischen Staatspräsidenten im überfüllten Audi-Max der Humboldt-Universität postieren sich zwei Männer mit schwarzen Regenschirmen auf dem Podium. Kaczynski soll eine Rede halten, ihr Titel "Solidarisches Europa". Doch das wird an diesem Donnerstag fast schon in den Hintergrund gerückt, denn plötzlich verschaffen sich Demonstranten Zutritt zu dem Saal. Es fliegen zwar keine Eier und Tomaten und die Regenschirme dürfen verschlossen bleiben, doch auch so geht es turbulent genug zu.

Zunächst durch Klopfen an der Wand, dann durch das Aufreißen der Tür, verschafft sich eine Gruppe Zugang in den Saal, ein Transparent wird hochgehalten: "Freunde. Keine Handbreit dem Schwulenhass". Hier, unter dem kleinen, aber lautstarken Häuflein von Demonstranten ist Polens Staatspräsident eine Reizfigur. Hat der 56-Jährige doch als früherer Bürgermeister von Warschau zwei Mal, 2004 und 2005, die "Parada Rownosci", die Parade der Schwulen und Lesben, verbieten lassen.

Eigentlich sollte Lech Kaczynski weiteren Glanz auf die prominente Rednerreihe der Humboldt-Universität werfen, die Namen wie Joschka Fischer oder Italiens Ex-Premier Giuliano Amato oder der Luxemburger Jean-Claude Juncker aufweisen kann. Doch an diesem winterlich-trüben Tag bricht für einen Augenblick der Unmut einer kleinen Gruppe in das sorgfältig austarierte Programm ein. Noch kurz zuvor war alles seinen protokollarischen Gang gegangen, war Polens Staatspräsident beim deutschen Außenminister, beim Bundestagspräsidenten gewesen, wo die gute Gesprächsatmosphäre gelobt wurde - wie am Tag zuvor beim Zusammentreffen mit der Kanzlerin und dem Bundespräsidenten.

Gespannte Aufmerksamkeit

Im Audi-Max geht es ein wenig rauer zu. Hier plumpst Kaczynskis umstrittene polnische Innenpolitik in den Saal, hört man Polen ihrem Präsidenten Worte des Protestes zurufen, karikieren die Demonstranten mit "Solidarität ohne Ausgrenzung" den Titel seiner Rede, irren verwirrte und überforderte Verantwortliche der Universität durch das Audi-Max, straffen sich Sicherheitsbeamte. Es ist ein Bild, wie man es in Berlin schon lange nicht mehr bei einem Staatsbesuch gesehen hat. Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, in den vorderen Reihen sitzend, hält sich die Hand an den Kopf, als wünschte er sich aus dem Saal, Sachsens Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf als Vertreter der deutschen Nationalstiftung sieht derweil mit interessierter Miene vom Podium aus zu, was die Verantwortlichen der Universität nun zu tun gedenken.

Über die Kopfhörer für die Simultan-Übersetzung, die fast alle Gäste im Saal übergestülpt haben, ist ein kleiner Dialog zu hören. "Lässt sich das räumen?" - "Natürlich können Sie das" - "Ich werde wahrscheinlich das Hausrecht...." Bald schon tauchen grün-uniformierte Polizisten im Saal auf, doch das verläuft berlinerisch gelassen in einer Stadt, die bei Staatsbesuchen schon Störungen anderer Art gewohnt ist. Es wird erst einmal deeskaliert und Polens Präsident kann sich einen Eindruck verschaffen, welche Routine man in Berlin da schon an den Tag legen kann. Der Direktor des Walter-Hallstein-Instituts, Ingolf Pernice, zuständig für die Einladung der Redner, ruft schließlich einen Vertreter der Demonstranten ans Mikrofon, der Chefredakteur eines Homosexuellen-Magazins postiert sich und schreit dem Gast zu: "Dieser Mann verhetzt das polnische Volk". Es sei beschämend, dass dieser "Antidemokrat" als Redner eingeladen worden sei.

Das nun aber kommt unten im Publikum gar nicht gut an. Viele polnische Studenten sitzen da und einige ältere polnische Damen und Herren, es wird plötzlich gepfiffen und gebuht. Eine Art spontane Gegendemonstration formiert sich in Sekundenschnelle, ein aufgebrachter polnischer Bürger hält es nicht mehr aus und brüllt in den Saal, es sei eine "Unverschämtheit", wie hier mit einem Vertreter eines "großen Landes" umgegangen werde. "Kein Benehmen" ist noch zu hören. Applaus, Buhrufe. Nur Lech Kaczynski sieht dem Ganzen mit stoischer Miene vom Podium herab zu. Als er dann am Pult steht, sagt er, er sei seit Jahren nicht mehr an einer Universität gewesen, er habe da aber "gewisse Gewohnheiten", Protest und Demonstration sei das eine, der Audi-Max einer so berühmten Universität aber das andere. Die diplomatischen Worte werden verstanden und viele der Zuhörer applaudieren dankbar.

Kaczynskis Europa-Gedanken

Dann kann Kaczynski seine Rede doch noch halten und sie fällt weitaus moderater aus, als all das, was er zuvor in Interviews erklärt hatte. Er äußert zwar erneut Bedenken gegen die Verfassung der Europäischen Union, sie komme "zu früh", vermeidet es aber, eine engere Zusammenarbeit in Europa abzulehnen. "Der europäische Integrationsprozess wird fortgesetzt", sagte er. "Aber man darf nicht so vorgehen, dass man es zu gut meint." Ein föderales Europa sei möglich, wenn sich die Staaten in Zukunft entsprechend annähern würden. Doch das ist es nicht, was an diesem Tag von seinem Auftritt haften bleibt. Denn noch während Kaczynski redet, füllt sich der Saal merklich mit Kamerateams, selbst auf der Empore haben sie sich mittlerweile postiert.

Am Ende liefert Kaczynski ihnen eine Zwei-Minuten-Sequenz für die Abendnachrichten. Ein junger, höflicher Mann fragt den "Herrn Staatspräsidenten" nach dem Verbot der Homosexuellen-Demonstrationen: Ob er nicht selber für die Reaktionen hier in Berlin verantwortlich sei?

Kaczynski verteidigt sich, er habe nach polnischen Recht gehandelt. Für die Demonstranten hat er dann noch eine beruhigende Botschaft: Er sei nicht für die Verfolgung der Homosexuellen, für ihre berufliche Behinderung. Es gebe aber keinen Grund, die homosexuelle Kultur der heterosexuellen gleichzustellen, sie gar zu fördern. "Wenn sie Oberhand gewinnen würde, dann müsste die Menschheit aussterben", sagt er.

Das ist der Punkt, an dem der Saal so richtig in Wallung kommt. Manche applaudieren, die Demonstranten buhen erwartungsgemäß und der labile Friede, den die Deeskalierer der Humboldt-Universität für eine Stunde herbeigezaubert hatten, droht zu platzen. "Empörend" brüllt ein Demonstrant, "was ist in deinem Kopf drin". Schließlich hat der Direktor des Hallstein-Instituts ein Erbarmen. Offenkundig froh, die Veranstaltung halbwegs über die Bühne gebracht zu haben, spricht Pernice die Schlussworte. Doch bevor er den polnischen Präsidenten entlässt, wendet sich sein Schlusswort fast ins Karikaturhafte und er sichert seinem Gast zu, weder er noch Herr Biedenkopf hätten die Demonstration organisiert, dagegen verwahre er sich, wobei nicht so recht klar wird, wen er damit eigentlich meint und wer das eigentlich denkt. Am Ende sagt er noch: Man wolle ein offenes Haus bleiben, die Meinung der geladenen Gäste wie des Staatspräsidenten und der anderen hören, "aber immer Nacheinander, das ist immer besser".

Nun, das ist an diesem Tag in der Humboldt-Universität gründlich misslungen.