Geißenklösterle

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Geißenklösterle

Höhle Geißenklösterle (September 2004)
Höhle Geißenklösterle (September 2004)

Höhle Geißenklösterle (September 2004)

Lage: Schwäbische Alb, Deutschland
Höhe: 584 m ü. NN
Geographische
Lage:
48° 23′ 54″ N, 9° 46′ 20″ OKoordinaten: 48° 23′ 54″ N, 9° 46′ 20″ O
Geißenklösterle (Baden-Württemberg)
Geißenklösterle (Baden-Württemberg)
Katasternummer: 7624/15
Typ: Karsthöhle

Das Geißenklösterle ist ein Abri im Achtal. Die Halbhöhle liegt südlich von Weiler, einem Ortsteil von Blaubeuren im Alb-Donau-Kreis in Baden-Württemberg. In ihr wurden bedeutende archäologische Funde des Jungpaläolithikums gemacht, darunter die älteste menschliche Darstellung und eines der ältesten erhaltenen Musikinstrumente. 2017 wurde sie als Bestandteil der Weltkulturerbestätte Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb in das UNESCO-Welterbe aufgenommen.

Geißenklösterle im Bruckfelsmassiv (Achtal)
Blick vom Fußweg hinauf zum Geißenklösterle. Die Grabungsfläche ist durch ein Gitter geschützt.
Das Geißenklösterle

Das Geißenklösterle ist Teil einer Fundlandschaft im heutigen Blau- und Achtal, wo sich im Pleistozän am Südrand der Schwäbischen Alb ein tiefes Tal in die Juraformationen gegraben hat. Dadurch wurden einige Hohlräume des Karstsystems angeschnitten. Viele der so entstandenen Höhlen des Achtals wurden schon von Neandertalern des Mittelpaläolithikums als Lagerplatz genutzt (neben dem Geißenklösterle auch in der Brillenhöhle und der Großen Grotte bei Blaubeuren). Andere, wie der nahe gelegene Hohle Fels, weisen mehrfache intensive Besiedlungsphasen durch den anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens) auf.

Das Geißenklösterle liegt heute etwa 60 m über der Talsohle. Der Eingang ist durch zwei vorspringende Felswände geschützt.

Archäologische Ausgrabungen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Geißenklösterle wurde 1957 vom vierzehnjährigen Reiner Blumentritt als archäologische Fundstelle entdeckt. Der damalige Schüler grub danach mit dem Tübinger Prähistoriker Gustav Riek zunächst in der Brillenhöhle im Achtal. 1963 führte Riek eine erste Sondage im mittleren Höhlenbereich durch.

1973 leitete Eberhard Wagner, Archäologe beim Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, eine weitere Sondage im Geißenklösterle, die den von Riek bereits begonnenen Graben bis zur Felswand weiterführte. Zusammen mit Joachim Hahn (Universität Tübingen) begann er 1974 die systematische Ausgrabung im Geißenklösterle. Diese wurde in zahlreichen Kampagnen bis 1991 unter der Leitung Hahns fortgesetzt.

Nach dessen Tod wurden die Ausgrabungen in den Jahren 2001 und 2002 durch Nicholas Conard und Hans-Peter Uerpmann vom Institut für Urgeschichte der Universität Tübingen fortgeführt und im Jahre 2002 vorläufig abgeschlossen.[1]

Die Grabungen bis 1983 wurden in einer Monographie vorgelegt, die vor allem Funde des Aurignacien vorstellte.[2] Ein besonderes Augenmerk galt dabei der Schichtgenese innerhalb der Höhle. Es konnten innerhalb des Aurignacien sechs Fundhorizonte, innerhalb des Gravettien sieben Fundhorizonte unterschieden werden. Sie repräsentieren jedoch keine Nutzungsphasen, sondern entstanden durch natürliche Prozesse.

Archäologische Zeitschichten

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Folgende stratigraphische Abfolge wurde festgestellt (in der Auflistung vom älteren zum jüngeren):

Eisenzeit, Mittelalter

Mittelpaläolithikum

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den letzten Grabungsjahren von 2000 bis 2002 wurden die basalen Schichten des Mittelpaläolithikums untersucht. Es konnten drei archäologische Horizonte unterschieden werden (AH IV bis VI), die den geologischen Schichten GH 18–20 entsprechen. Zwischen dem untersten Aurignacien-Horizont und den Schichten des Mittelpaläolithikums gab es eine weitgehend fundleere Schicht (GH 17), die durch Glimmer und grobklastischen Kalkschutt charakterisiert ist.[3]

Holzkohlen weisen auf die Nutzung von Feuer hin, doch fehlen ausgeprägte Brandschichten.

Nachweisbar ist ein Aufenthalt kleiner Gruppen von Menschen während der letzten Würmeiszeit, ungefähr zwischen 43.000 und 32.000 Jahren vor heute.

Das Herstellen von Steinwerkzeugen, das Verarbeiten von Knochen, Geweih und Elfenbein zu Gebrauchs-, Schmuck- oder Kunstgegenständen oder das Behandeln von Tierhäuten in der Höhle wurden nachgewiesen. Eventuell wurden einige der Gegenstände hier nicht nur hergestellt und benutzt, sondern auch deponiert. Reste von Brandstellen weisen darauf hin, dass die mit Knochen geschürten Feuer nicht nur zur Nahrungszubereitung, sondern auch zur Erwärmung, als Lichtquelle sowie als Schutz- und Arbeitshilfsmittel gedient haben. Die Rohmaterialversorgung mit Jaspis (Hornstein) erfolgte wohl vorrangig aus der Umgebung; gebänderter Jaspis verweist allerdings auf Verbindungen der Bewohner in den bayerischen Raum.

Figürliche Kleinkunst

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weltweite Bedeutung erlangte das Geißenklösterle durch die Schnitzereien aus Mammutelfenbein, die zu den ältesten figürlichen Darstellungen der Menschheit gehören (ebenso wie die Funde aus dem nahe gelegenen Hohlefels und der Vogelherdhöhle im Lonetal).

Adorant, 40.000 Jahre alt

Besonders bemerkenswert ist das Halbrelief einer männlichen Person mit erhobenen Armen, der offenbar eine rituelle Handlung ausführt (Adorant = Der Betende ).[4]

Mammut

Das vollplastische Mammut konnte aus 40 Fragmenten zusammengesetzt werden; sechs weitere Bruchstücke (vom Kopf, Oberschenkel und der Flanke) lassen sich nicht mehr anpassen. Trotz längsverlaufender Bruchstruktur lässt sich die Anmut und Genauigkeit der Darstellung ablesen. Reste von Rötel könnten von einer Verzierung mit roter Farbe stammen. Die Mammutfigur ist in der Schausammlung im Alten Schloss von Stuttgart ausgestellt.

Höhlenbär

Der aufrecht stehende Höhlenbär vom Geißenklösterle, ebenfalls präsentiert im Landesmuseum Württemberg

Flöten aus Knochen und Elfenbein

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Nachbildung der Flöte 1

Im Geißenklösterle wurde eine 12,6 cm lange Schwanenknochenflöte („Flöte 1“) aus dem Radius eines Singschwans im Jahre 1990 gefunden ("Flöte 1").[5] Außerdem wurde von Hahn und Münzel eine zweite, sehr fragmentarische Vogelknochen-Flöte (Flöte 2) vorgelegt. Beide Exemplare stammen aus dem Archäologischen Horizont II (Oberes Aurignacien) und zeigen sorgfältig angelegte Kerben und flach geschnittene Grifflöcher, die eine eindeutige Interpretation der Funde als Flöten ermöglichen. Später wurde eine weitere Flöte (Flöte 3) aus dem Geißenklösterle identifiziert, die aus zwei ausgehöhlten Mammutelfenbeinspänen hergestellt und dann zusammengeklebt wurde.[6] Wie die beiden Vogelknochenflöten wurde auch diese aus dem oberen Aurignacien-Schichtkomplex AH II geborgen. (Ein Teil der Flöte 3 war von Hahn bereits 1988 als mit einer Kerbreihe verziertes Elfenbeinstabfragment veröffentlicht worden, konnte aber wegen fehlender Teile noch nicht als Flöte identifiziert werden.[7])-

Neuere Forschungsergebnisse ergaben für diese Flöten ein Alter von etwa 42.000 bis 43.000 Jahren, was sie damit zu den zweitältesten bekannten Musikinstrumenten (nach der Flöte von Divje babe) macht.[8][9]

Flöte 2 sowie Flöte 3 sind im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren zu sehen.

Neben den figürlichen Kleinkunstwerken gibt es in Aurignacien-Schichten des Geißenklösterles mehrere Steine mit Farbaufträgen. In seiner Bedeutung als Kleinkunstwerk ragt ein dreifarbig (schwarz, rot und gelb) bemaltes Kalksteinstück aus der Aurignacien-Schicht IIb heraus.[10] Die roten Farbaufträge bestehen aus Hämatit, die gelben aus Limonit. Gelbe Ockerstücke wurden in denselben Schichten auch als mineralische Überreste gefunden, so dass die Verbindung zu den regelmäßigen Pigmentaufträgen gesichert ist. Der bemalte Stein ist mit einem Alter von circa 35000 Jahren der Älteste aus der Region.

Zusammen mit fünf weiteren bemalten Steinen, die aus dem Hohlen Fels stammen, ist er im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren ausgestellt.

Mehrere Feuerstellen wurden gefunden: eine große im nördlichen, geschützten Bereich, eine kleine im südlichen, offenen Höhlenbereich. Die Nutzung erfolgte wohl im Frühjahr.

  • Hans Binder, Herbert Jantschke: Höhlenführer Schwäbische Alb. Höhlen – Quellen – Wasserfälle. 7., völlig neu bearbeitete Auflage. DRW-Verlag, Leinfelden-Echterdingen 2003, ISBN 3-87181-485-7, S. 212–213.
  • Thomas Higham, Laura Basell, Roger Jacobi et al.: Testing models for the beginnings of the Aurignacian and the advent of figurative art and music: The radiocarbon chronology of Geißenklösterle. In: Journal of Human Evolution. Band 62, Nr. 6, 2012, S. 664–676, doi:10.1016/j.jhevol.2012.03.003.
  • Luc Moreau: Geißenklösterle. Das Gravettien der Schwäbischen Alb im europäischen Kontext. Kerns, Tübingen 2009, ISBN 978-3-935751-11-7.
  • Eberhard Wagner: Eiszeitjäger im Blaubeurener Tal (= Führer zu arch. Denkm. Bad.-Württ. Band 6). Theiss, Stuttgart 1979, ISBN 3-8062-0225-7.
  • Urgeschichte in Oberschwaben und der mittleren Schwäbischen Alb. Zum Stand neuerer Untersuchungen der Steinzeit-Archäologie (= Arch. Inform. Bad.-Württ. Band 17). Stuttgart 1991, ISBN 3-927714-09-7.
  • Michael Zick: Die ersten Künstler. In: Abenteuer Archäologie. Nr. 1, Spektrum, Heidelberg 2006, ISSN 1612-9954, S. 28ff.
  • Joachim Hahn: Eine auragnicienzeitliche Menschendarstellung aus dem Geißenklösterle bei Blaubeuren, Alb-Donau-Kreis. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. 9. Jg., Heft 2, 1980, S. 56ff. (archive.org [PDF]).
  • Georg Hiller, Stefanie Kölbl (Hrsg.): Welt-Kult-Ur-Sprung. Jan Thorbecke Verlag, Ulm 2016, ISBN 978-3-7995-1168-1 (zur Eiszeitkunst der Alb, deutsch und englisch).
Commons: Geißenklösterle – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Nicolas Conard, Maria Malina: Abschließende Ausgrabungen im Geißenklösterle bei Blaubeuren, Alb-Donau-Kreis. In: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2002. Theiss, Stuttgart 2003, ISSN 0724-8954, S. 17–21.
  2. Joachim Hahn: Die Geißenklösterle-Höhle im Achtal bei Blaubeuren: Fundhorizontbildung und Besiedlung im Mittelpaläolithikum und im Aurignacien. (= Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg. Band 26). Theiss, Stuttgart 1988, ISBN 3-8062-0794-1.
  3. N. J. Conard, M. Malina: Neue Ausgrabungen in den untersten Schichten des Aurignacien und des Mittelpaläolithikums im Geißenklösterle bei Blaubeuren. In: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2001. Theiss, Stuttgart 2002, S. 16–21.
  4. Adorant Show Caves
  5. Joachim Hahn, Susanne Münzel: Knochenflöten aus dem Aurignacien des Geißenklösterle bei Blaubeuren, Alb-Donau-Kreis. In: Fundberichte aus Baden-Württemberg. Band 20, 1995, S. 1–12.
  6. Nicholas J. Conard, Maria Malina, Susanne C. Münzel, Friedrich Seeberger: Eine Mammutelfenbeinflöte aus dem Aurignacien des Geissenklösterle. In: Archäolog. Korrespondenzblatt. 34, 2004, S. 447 ff.
  7. Joachim Hahn: Die Geißenklösterle-Höhle im Achtal bei Blaubeuren I. Fundhorizontbildung und Besiedlung im Mittelpaläolithikum und im Aurignacien. In: Forsch. u. Ber. z. Vor- und Frühgesch. in Baden-Württemberg. Band 26, Stuttgart 1988.
  8. Älteste Kunst noch älter – Pressemitteilung der Uni Tübingen, 25. Mai 2012
  9. idw-online. vom 24. Mai 2012: „Älteste Kunst noch älter.“
    Earliest music instruments found. Webseiten der BBC (abgerufen am 25. Mai 2012). Wissenschaftliche Originalveröffentlichung: Thomas Higham, Laura Basell, Roger Jacobic, Rachel Wood, Christopher Bronk Ramsey, Nicholas J. Conard: Testing models for the beginnings of the Aurignacian and the advent of figurative art and music: The radiocarbon chronology of Geißenklösterle. In: Journal of Human Evolution. 8. Mai 2012, doi:10.1016/j.jhevol.2012.03.003 (englisch, online [abgerufen am 25. Mai 2012] kostenpflichtiger Inhalt).
  10. Harald Floss u. a.: Lascaux auf der Alb? Hinweise auf Höhlenkunst im deutschen Südwesten. In: Eiszeit: Kunst und Kultur. Thorbecke, 2009, ISBN 978-3-7995-0833-9, S. 303–306.