Ortsrufanlage

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Druckkammerlautsprecher, wie sie auch in Ortsrufanlagen eingesetzt wurden.

Eine Ortsrufanlage, auch Ortsfunk, Dorffunk oder Stadtfunk genannt, ist eine heute fast nicht mehr gebräuchliche Einrichtung zur Bekanntgabe wichtiger Informationen innerhalb einer Ortschaft. Der Ortsfunk wird – anders als der Name suggeriert – nicht über Funk, sondern über leitungsgebundene Lautsprecheranlagen innerhalb der Ortschaft verbreitet.

Ortsrufanlage Pösing, Lautsprecher Typ 1
Stadtrufanlage in Bad Langensalza

Die Verbreitung von Neuigkeiten und amtlichen Verkündigungen war vor dem Beginn des Kommunikationszeitalters Aufgabe von Gemeindedienern, die wegen der mitgeführten Glocke in manchen Gegenden auch „Ausscheller“ genannt wurden. Ihre Aufgabe wurde in der Mitte des 20. Jahrhunderts in einigen Gemeinden vom Ortsfunk übernommen.[1]

Als Erfinder und erster Installateur gilt der Elektromeister Wilhelm Glaser. Er installierte die erste Nachrichtenanlage am Hauptbahnhof Karlsruhe und in seinem Wohnort Untergrombach 1939 die erste Ortsrufanlage. Offensichtlich fehlten Glaser Geld und Zeit, ein Patent anzumelden. Er soll aber, der Bedeutung der Erfindung entsprechend, im Berliner Reichspropagandaministerium empfangen worden sein.[2][3]

Seine größte Verbreitung fand der Ortsfunk in den 1950er Jahren.[4][5] Mit der besseren Verfügbarkeit von Rundfunk, Fernsehen und Tageszeitungen in vielen Haushalten nahm die Bedeutung im Laufe der 1960er und 1970er Jahre so weit ab, dass in den meisten Gemeinden der Betrieb wieder eingestellt wurde.[6] Mancherorts waren die Anlagen aber noch bis in die 1990er Jahre in Betrieb oder wurden wieder reaktiviert, dabei müssen oft erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um noch Ersatzteile für die teilweise jahrzehntealten Anlagen zu beschaffen.[7]

Die Verlautbarungen, die ein oder mehrmals täglich verkündet wurden, wurden meist musikalisch, häufig mit Marschmusik, eingeleitet. In Meckesheim wurde beispielsweise zur Bekanntgabe von Todesfällen die Marschmusik durch ein Streichquartett ersetzt.

Übliche Inhalte der Verlautbarungen waren wichtige Termine des Dorfgeschehens, wie Gemeinderatssitzungen, Heiraten, Geburten, Todesfälle, Holz- und Obstbaumversteigerung, Impftermine und Fundsachen, aber auch nicht Amtliches wie Vereinsnachrichten und die Ankündigungen von Dorffesten.

Der Ortsfunk war im eigentlichen Sinne eine Beschallungsanlage, die sich – wie bereits oben erwähnt – mit einem Netz von Lautsprechern über eine ganze Ortschaft oder Stadt erstreckte. Die elektrischen Tonsignale wurden in der 100-Volt-Technik über ein Leitungsnetz zu den Lautsprechern übertragen. Die Lautsprecher waren entweder elektromagnetische Lautsprecher, die wegen der statischen Spule mit einer ausreichend hohen Impedanz hergestellt werden konnten, oder über einen Transformator angeschlossene, niederohmige Lautsprecher mit Schwingspule. Das erlaubte den Betrieb mit Leitungslängen bis zu einigen Kilometern ohne zusätzliche Verstärker und Stromversorgung. Wegen der hohen Impedanz konnten alle Lautsprecher einfach parallel geschaltet werden. Im Zuge des technischen Fortschritts wurden die Lautsprecher teilweise durch Druckkammerlautsprecher ersetzt.

Üblicherweise befand sich im Rathaus ein kleines „Tonstudio“ mit einem Mikrofon für die Aufnahme der Durchsagen und einem Schallplattenspieler oder Tonbandgerät zur Einspielung von Musik. Die Durchsagen wurden nicht aufgezeichnet, sondern direkt ausgestrahlt.

Aktuelle Beispiele

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Lautsprecher­durchsage der Ortsrufanlage Pösing
Typisches Arrangement einer Ortsrufanlage auf dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei

Auf dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei fanden Ortsrufanlagen (městský rozhlas (tschechisch), mestský rozhlas (slowakisch), deutsch: Stadtfunk) in der Ära des Kommunismus weite Verbreitung. Viele von ihnen sind auch heute (2019) noch in Betrieb; etliche wurden sogar modernisiert, etwa in Roudnice nad Labem.

In japanischen Großstädten stehen Ortsrufanlagen noch heute im alltäglichen Bedarf. Neben der Möglichkeit zur Nutzung als Warnmittel im Katastrophenschutz werden über die Ortsrufanlagen täglich – meistens um 17 Uhr oder jahreszeitabhängig bei Sonnenuntergang – MIDI-Melodien gespielt, die als Zeitzeichen für Kinder dienen. Auf diesem Wege werden sie dazu aufgefordert, nachhause zu gehen, um einer erhöhten Gefahr von Gewalt und Missbrauch gegen Kinder vorzubeugen.

  • Thomas Adam: In den Dörfern gehen die Lichter an, Geschichte der Stromversorgung in Untergrombach und im Bruchsaler Raum, Heimatverein Untergrombach e. V. 1999
  • Thomas Adam: Strom für das Grombachtal, Grombacher Geschichte Band 1, Verlag Regionalkultur Ubstadt-Weiher 2021 ISBN 978-3-95505-252-2


Einzelnachweise

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  1. Chronik Widdershausen/Werra: Der Ausscheller von Bernd Koch, abgerufen am 3. Juni 2018.
  2. Thomas Adam: In den Dörfern gehen die Lichter an, Seite 16 ff.
  3. Thomas Adam: Strom für das Grombachtal Verlag Regionalkultur, S. 60 ff.
  4. Aussterbende Gemeindeschelle - Ortsrufanlagen hessischer Dörfer machen Schule. In: Büdinger Kreisblatt. 23. August 1957.
  5. Als die News noch von Omas Hauswand schallten … Abgerufen am 5. Mai 2019.
  6. Die Nauheimer Ortschronik von Hermann Reitz
  7. Kristin Müller: Schaltschrank-Spende für den letzten Südharzer Dorffunk in Appenrode. In: thueringer-allgemeine.de. 21. Oktober 2014, abgerufen am 24. Februar 2024.
  8. Albertshofen (Pau), auf markt.mainpost.de, aufgerufen am 3. Juni 2018
  9. Appenrode hat den letzten Dorffunk im Südharz. In: nordhausen.thueringer-allgemeine.de. 5. August 2014, abgerufen am 14. Januar 2017.
  10. Dorffunk in Beberstedt bleibt am Netz, Thüringer Allgemeine, aufgerufen am 4. Januar 2014.
  11. forbach-online.de: Tondokument zur Wiederinbetriebnahme des Ortsfunks (Memento vom 1. November 2010 im Internet Archive)
  12. Dörfler, hört die Signale (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive)
  13. Das Hochgeschrei in Friedensdorf, auf welt.de, aufgerufen am 5. Mai 2019
  14. Glockengeläut vom Rathaus über Dorffunk, eisenachonline.de, aufgerufen am 4. Januar 2014.
  15. Badische Zeitung, Lokales, Müllheim, 28. Mai 2013, Volker Münch: badische-zeitung.de: In Müllheim-Hügelheim hat die Ortsrufanlage überlebt (15. September 2013)
  16. Badische Zeitung, Lokales, Müllheim, 10. Januar 2011, Barbara Schmidt: badische-zeitung.de: Von Hügelheim aus in die Welt (15. September 2013)
  17. Kappelrodeck Immer teurer: Zweifel an legendärer Ortsrufanlage, auf bo.de, abgerufen am 5. Mai 2019.
  18. Ortsrufanlage, auf laisa.de, abgerufen am 3. Juli 2018
  19. Tradition erhalten: Ortsfunkanlage offiziell wieder in den Dienst gestellt - Stadt Wächtersbach. Abgerufen am 19. Juli 2019.
  20. „Mol ruhig, de Lautsprecher dut“, Pfalz-Echo 20/2013
  21. Der Dorffunk spricht. Archiviert vom Original am 4. Januar 2014; abgerufen am 3. Juli 2018.
  22. Deutschlandradio Kultur, Länderreport, 6. Mai 2013, Michael Watzke: dradio.de: Alle mal herhören! - Dorfnachrichten gibt es in Pösing über den Dorflautsprecher (15. September 2013)
  23. TVA dreht Film über Pösinger Ortsrufanlage Bericht über die Pösinger Ortsrufanlage im Fernsehen, auf csu-poesing.info
  24. Bekanntgaben, auf sickershausen-kt.de, abgerufen am 3. Juni 2018.
  25. Marah Naumann: Eine der letzten Anlagen Deutschlands: In Jossa ist der Dorffunk noch immer in Betrieb. In: Fuldaer Zeitung. 12. Juni 2022, abgerufen am 13. Juni 2022.
  26. Pascal Ambros: Fast 50 Jahre rauscht die Ortsrufanlage. Rhein-Neckar-Zeitung, 7. September 2012, abgerufen am gleichen Tage.
  27. "Unser liebstes Infosystem" (Memento vom 4. Juli 2018 im Internet Archive), www.echo-online.de vom 5. September 2014.
  28. Ortsrufanlagen - Der Dorffunk, donaukurier.de, aufgerufen am 4. Januar 2014.