Er habe doch nur Befehle befolgt: „Ich als kleiner Mann war kein Herr
über Leben und Tod dieser unglücklichen Menschen“, behauptet der
ehemalige SS-Sanitäter Josef Klehr auf der Anklagebank. Tatsächlich hat
er unzählige Opfer mit Zyklon B oder Phenolspritzen ermordet. Seine
Ausflüchte klingen wie die vieler anderer Beschuldigter im Frankfurter
Auschwitz-Prozess, der 1963 beginnt: Die Angeklagten streiten alles ab –
oder geben nur zu, was nicht mehr zu leugnen ist, und berufen sich auf
Anordnungen von oben. Fast alle 22 Männer gehörten zur SS des
Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Und doch hätten sie angeblich
keine Wahl gehabt und trügen keine Schuld. Kaum je ist ein Wort der Reue
zu hören, in diesem größten Verfahren gegen NS-Täter in der Geschichte
der Bundesrepublik.
Die Richter stehen vor einer folgenschweren Entscheidung: Sind die
Beschuldigten wie gewöhnliche Kriminelle für einzelne Rechtsbrüche zu
verurteilen? Oder, wie die Staatsanwälte fordern, als Mittäter des
Holocausts, weil sie alle Mitverantwortung tragen für das
Gesamtverbrechen Auschwitz? Für die Gaskammern und Folterstätten, den
fabrikmäßigen Massenmord an etwa einer Million Jüdinnen und Juden sowie
den Tod vieler weiterer Opfer.
In dieser zweiten Folge unseres Podcasts über den Frankfurter
Auschwitz-Prozess hören wir die Aussagen der Angeklagten, dank
Originalaufnahmen aus dem Gerichtssaal. Und erfahren, mit welchem
Ergebnis das Verfahren nach 183 Verhandlungstagen zu Ende geht. Welches
Urteil fällt das Gericht, und wie reagiert die Öffentlichkeit? Wir
blicken zudem voraus auf den Moment, in dem sich Jahrzehnte später die
Rechtsprechung gegen NS-Verbrecher grundlegend ändert.
Im ersten Teil der Doppelfolge haben wir die Vorgeschichte des
Verfahrens nachgezeichnet – und die erschütternden Berichte von
Überlebenden gehört, die über das Grauen im Todeslager Zeugnis ablegen.
Mehr zum Thema Auschwitz, zum Beispiel ein Gespräch mit dem Historiker
Michael Wildt über die Debatte um die Singularität des Holocausts, eine
Reportage über die heutige Gedenkstätte und einen Besuch bei den
Überlebenden Eva Szepesi und Albrecht Weinberg, finden Sie in der
aktuellen Ausgabe des Magazins ZEIT Geschichte.
Hier können Sie eine Gratisausgabe von ZEIT Geschichte zum Testen
bestellen. Sie bekommen das Heft zu Auschwitz, aber auch viele andere,
im Handel oder online im ZEIT Shop. Alle Folgen des Podcasts hören
Sie hier. Die Redaktion erreichen Sie per Mail unter
[email protected].
Alle Tonaufnahmen aus dem Frankfurter Auschwitz-Prozess sind auf der
Website des Fritz Bauer Instituts abrufbar.
Folgende Bücher haben wir für den Podcast verwendet und wollen wir gerne
empfehlen:
- Devin O. Pendas: Der Auschwitz-Prozess. Völkermord vor Gericht,
Siedler Verlag, München 2013
- Bernd Naumann: Der Auschwitz-Prozess. Bericht über die Strafsache
gegen Mulka u. a. vor dem Schwurgericht Frankfurt am Main 1963–1965,
Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2013
- Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903–1968. Eine Biographie, Buxus
Edition, Eschenlohe 2019
- Peter Weiss: Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen, Suhrkamp
Verlag, Frankfurt am Main 1991
Die Tonaufnahmen aus dem Frankfurter Gerichtssaal gehören zum
Archivbestand des Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden. (Diese
Folge enthält Ausschnitte der Tonbänder mit den Signaturen HHStAW
Bestand 461 Nr. 41098, 41088, 41079, 41096, 41030 und 41083.)
Ab sofort sind Teile des Archivs von "ZEIT Geschichte" nur noch exklusiv
mit einem Digitalabo der ZEIT zu hören – auf ZEIT ONLINE, auf Apple
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